Abstract
Die Rilke-Auslegung wird in weitreichende historische Perspektiven gestellt. Seit der Renaissance lässt sich ein Autonom-werden der Kunst beobachten, das bei Hölderlin, Wagner und Nietzsche zur Erwartung eines neuen ästhetisch bestimmten Zeitalters fuhrt. Heidegger schliesst für seine Kennzeichnung der gegenwärtigen Zeit, nach dem Tode Gottes und ohne eine neue bestimmende Mitte der Kultur, als ,, dürftiger Zeit" bei Hölderlin und Nietzsche an. Rilkes Position als „Dichter in dürftiger Zeit” ist in Heideggers Texten indessen nicht eindeutig. Rilke ist schliesslich nur ein Gesprächspartner in einem Gesprächskontext zwischen Philosophie und Kunst. Innerhalb dieses Kontextes werden hier zwei Gedichte und die Grabschrift Rilkes interpretiert. Adorno und Habermas werfen Husserl vor, dass er die Forderung der Phänomenologie, zu einer „Wesensschau” zu kommen, die das objektivierende Denken überwindet, nicht einlösen kann. Die These dieser Abhandlung ist, dass Rilke in einigen seiner Gedichte die „Wesensschau” auf adäquate Weise verwirklicht. Die methodische Seite, die freilich nicht von der inhaltlichen zu trennen ist, kommt in „Der Schauende”, die ganz auf das Inhaltliche gerichtete Seite in „Der Panther” mit völliger Klarheit zum Ausdruck. Was kann es bedeuten, dass Rilke das Wesen schliesslich als Un-wesen erblickt ?