Abstract
In den ersten Kapiteln werde ich ein ethologisches Modell von Körperlichkeit vorstellen, in dem Körper, ganz im Sinne Spinozas, als lokale Bestandteile eines weltweiten Gefüges gedacht werden. Körper sind demnach keine von ihrer Umgebung isolierbaren Substanzen, in ihnen treten vielmehr Sach-Verhalte in Erscheinung, denen ein systemisches Selbsterhaltungsstreben (conatus) innewohnt. Der den Körpern immanente Appetit, sich in ihrem Sein zu erhalten, bezieht sich daher nicht nur auf die Selbsterhaltung des eigenen Organismus, sondern auf die systemische Erhaltung des eigenen In-der-Welt-Seins, das ein Organismus mit seiner Umwelt teilt. In den darauffolgenden Kapiteln analysiere ich die dunkle Alchemie, die Körper erleiden, wenn ihr Appetit, sich in ihrem Sein zu erhalten, durch äußere Ursachen gehemmt und schließlich vergiftet wird. Eine Dynamik, die Nietzsche in seiner Streitschrift Zur Genealogie der Moral treffend als Wille zum Nichts charakterisiert hatte. In ihr verkehrt sich der Lebenswille in einen Hass auf das Leben, der sich am Leben zu rächen beginnt, indem er es verdammt. Diesem destruktiven, selbstwidersprüchlichen Willen zum Nichts setzt Spinoza im fünften Buch seiner Ethik eine Glückseligkeitslehre entgegen, die den Geist der Rache immunisiert, indem sie an der Hervorbringung freudvoller Lebensverhältnisse arbeitet. Nicht der dialektische Kampf gegen das Ressentiment und seine destruktive Dynamik steht daher im Zentrum seiner Ethik. Es ist vielmehr die Kultivierung aktiver Affekte – Affekte der Freude, Liebe und Selbstzufriedenheit –, die für Spinoza das Ende der Hass- und Gewaltspirale versprechen. Damit zieht er die Konsequenzen aus der Einsicht, dass ein Affekt nur durch einen anderen, stärkeren Affekt gehemmt und schließlich außer Kraft gesetzt werden kann: Hass durch tiefgründige Liebeserfahrungen, Ressentiment durch freudvolle Erfahrungen.