Interpretationsschemata und Rezeptionsprozess: Anmerkungen zum Interpretieren aus Sicht einer kognitiven Rezeptionstheorie

In Jan Borkowski, Stefan Descher, Felicitas Ferder & Philipp David Heine (eds.), Literatur interpretieren: Interdisziplinäre Beiträge zur Theorie und Praxis. Mentis. pp. 251-276 (2015)
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Abstract

Die kognitive Rezeptionstheorie greift Fragestellungen nach der Interaktion von Text und Leser beim Verstehen literarischer Texte auf, die bereits von der Rezeptionsästhetik formuliert wurden. Unter Rückgriff auf neuere Erkenntnisse der internationalen kognitionspsychologischen Textverstehensforschung hat sie inzwischen gegenüber der Rezeptionsästhetik besser operationalisierte Prozessmodelle des Lesens entwickelt, die den oft unbewussten Einsatz von Wissensstrukturen des Lesers – insbesondere in Form von Schemata – beim Verstehen von Texten erklären können. Daraus ergeben sich grundsätzliche Annahmen über das Zusammenspiel von Textverstehen und Interpretation: Erstens öffnen die Textverstehensmodelle den Blick für vermeintlich ›falsches‹ Textverstehen, da dieser Ansatz das Zustandekommen von Sinn beim Rezipienten erklären möchte; dies schließt unerfahrene und Laien-Leser ebenso ein wie literaturwissenschaftlich gebildete Leser. Zweitens muss Interpretation einer kognitiven Rezeptionstheorie zufolge immer als abhängig von den Rezeptionsprozessen des Interpretierenden gedacht werden, in die seine Wissensbestände eingeflossen sind. Dazu gehören sowohl Weltwissen, einschließlich kulturhistorischen Wissens, das zum Erschließen literarischer Texte aus anderen Epochen verwendet wird, als auch Schemata, die der Interpretierende durch seine Auseinandersetzung mit literaturtheoretischen Ansätzen erlernt hat. Dass die Anwendung verschiedener Literaturtheorien zwangsläufig unterschiedliche – und auch unvereinbare – Interpretationen generiert, lässt sich mit Hilfe eines kognitiv-rezeptionstheoretischen Ansatzes erklären. Ein solcher Ansatz ist jedoch nicht daran interessiert, Interpretationen als ›falsch‹ oder ›richtig‹ bzw. ›wahr‹ zu deklarieren, denn er geht davon aus, dass der Text an sich nicht als die Instanz betrachtet werden kann, welche die Maßstäbe zur Bewertung einer Interpretation zur Verfügung stellt. Vielmehr folgt aus der kognitiv-rezeptionstheoretischen Betrachtung des literaturwissenschaftlichen Interpretationsgeschehens die Aufforderung, wissenschaftssoziologisch zu untersuchen, wann und unter welchen Umständen bestimmte Interpretationen Konjunktur haben.

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