Abstract
Die Tierethik der letzten Jahrzehnte war über weite Strecken geprägt von einer pathozentrischen Sicht. In der aktuellen tierethischen Diskussion wird jedoch zunehmend bezweifelt, ob die Fokussierung auf die Vermeidung unnötiger oder unzumutbarer tierlicher Schmerzen und Leiden den immer komplexeren Mensch-Tier-Interaktionen angemessen Rechnung tragen kann. Besonders im Hinblick auf genetische Veränderungen von Tieren, die zu einer Reduktion wesentlicher tierlicher Fähigkeiten führen, ohne dabei zugleich negative Empfindungen hervorzurufen, tritt die Frage auf, ob es tierethisch relevante Aspekte gibt, die über das subjektive Wohlergehen hinausgehen.Anhand des Beispiels der gezielten Zucht blinder Hühner wird im Folgenden gezeigt, dass neben den Empfindungen eines Tieres zumindest sein objektives Wohl und die tierliche Integrität als zusätzliche normative Kriterien herangezogen werden müssen, sofern dem Tier ein normativer Eigenwert zugeschrieben wird. Dazu ist weder die Einnahme eines biozentrischen noch eines egalitaristischen Standpunktes erforderlich, sondern allein eine konsequente Trennung der unterschiedlichen Ebenen der tierethischen Argumentation