Abstract
Zusammenfassung Am Beispiel der häufig zum Symptom eines narzisstischen Zeitalters erklärten Selfie-Praxis wird in diesem Text das Verhältnis von Selbstdarstellung und Verkündigung bedacht. Das in den Sozialen Medien verbreitete Phänomen, sich selbst zum Bild zu machen und anderen Bilder von sich selbst zu präsentieren, tritt dabei als ein religiös grundiertes Unterfangen vor Augen. Eine Sehnsucht nach unvergänglicher Gegenwart lässt sich in der Selfie-Praxis ebenso artikuliert finden wie ein Bewusstsein für die undarstellbare Dimension des individuellen Selbst. Beide Aspekten werden zudem als Versuch eines produktiven Umgangs mit herausfordernden Entwicklungen der Moderne verstanden: mit der durch den sozialen Beschleunigungsdruck hervorgerufenen Gegenwartsschrumpfung auf der einen und dem Zwang zur digitalen Selbstpräsentation auf der anderen Seite. Mithin lässt sich das im Selfie zum Ausdruck kommende Bewusstsein auf die Rede von Gott beziehen: auf Gott als Korrelat jener Sehnsucht nach unvergänglicher Gegenwart und als Inbegriff einer dem menschlichen Selbst unsichtbar eingeschriebenen Lebendigkeit. In dieser ihm innewohnenden Verweisstruktur lässt sich das Selfie selbst als verkündigungsförmig ansehen, was den auch in der Theologie verbreiteten Narzissmusvorwurf gegenüber religiösen Selbstdarstellungspraktiken nicht nur in der Predigtarbeit entkräften sollte.