Fundamentalphilosophie oder empirische Psychologie?: Das Selbst und die Wissenschaften bei Fichte und C.C.E. Schmid
Abstract
In den Jahren nach 1794 erlebt die Universität Jena eine polemisch geführte Kontroverse zwischen Fichte und Carl Christian Erhard Schmid. Im Verlauf der Auseinandersetzung kommt es zu einer unübersichtlichen Verschachtelung verschiedener Themen und Argumentationsebenen; auch stehen die von Fichte und Schmid teils versteckt, teils unverhohlen geführten persönlichen Attacken einer sachlichen Rekonstruktion im Wege. Bislang wurde diese Kontroverse vornehmlich im Kontext der von Reinhold angestoßenen Debatte um einen ersten Grundsatz in der Philosophie behandelt. Durch diese Fragestellung wird eine Problemdimension verdeckt, die sich als argumentativer Kern der Fichte-Schmid-Debatte erweisen lässt: vor dem Hintergrund des Paralogismus-Kapitels der Kantischen Vernunftkritik tritt als eigentlicher Streitpunkt die Frage hervor, ob das Selbst Thema der Philosophie oder einer Einzelwissenschaft sein muss. Das Verhältnis von Philosophie, Wissenschaft und Wissenschaften wird bei Fichte und Schmid zur Folie, auf der die Frage nach dem menschlichen Selbst überhaupt verhandelt werden kann. - Wir vertreten die These, dass die Begründung der Psychologie als empirische Wissenschaft, wie Schmid sie vorschlägt, vor dem Hintergrund von Kants Paralogismus-Kritik nicht aussichtsreich ist. Zugleich ist zu sehen, dass Fichtes Argument, die WL würde Psychologie als Wissenschaft überflüssig machen, eine unzulässige Verkürzung des Problems ist, das er bei Schmid sieht. Die Fichte-Schmid-Kontroverse dokumentiert so eine anthropologisch-psychologische Grundlagenkrise, die im Ausgang von Kants Paralogismus-Kapitel entsteht