Abstract
Zusammenfassung Eine Untersuchung der diplomatischen Kontakte zwischen östlichem und westlichem Kaisertum im 10. Jahrhundert kann praktisch nur auf zwei umfangreichere Quellen zurückgreifen: den Legationsbericht des Liudprand von Cremona und die Briefe des byzantinischen Metropoliten und Synkellos Leon von seiner Westreise 996/998. Beide Texte sind keine offiziellen Dokumente, wie sie für das 9. Jahrhundert noch in beachtlicher Dichte vorliegen, aber sie geben daher nicht nur den Ereignissen, sondern auch Haltungen, Motivationen und individuellen Wahrnehmungen breiteren Raum, so daß sich ein in Teilen lebendigeres Bild dieser Diplomatie eruieren läßt. Dagegen treten theoretische Prämissen deutlich zurück. Selbst bei Liudprand, im Umgang mit dessen Legatio starke quellenkritische Vorbehalte nicht unberücksichtigt bleiben dürfen, wird die „Zweikaiserfrage“ nur an wenigen Stellen Gegenstand, und Leon vermeidet offenbar jede Äußerung dazu. Dabei wäre eine Auseinandersetzung mit „unverschämten“ Ansprüchen des Westens auf die Basileia ein rhetorisch für ihn sicher ebenso angemessener Stoff gewesen wie die Verdammung des Philagathos. Im Vergleich beider Autoren ergeben sich zudem interessante Parallelen: beide haben ein ambivalentes Rom-Bild, beide können persönliche Feindbilder wirkmächtig stilisieren und mit politischen Argumenten vernetzen, vor allem aber entwickeln beide wirkungsvolle Mechanismen zur Verdrängung einer faktischen Zwangssituation und erwecken die Illusion, unabhängig handeln zu können oder mindestens rhetorische Überlegenheit gezeigt zu haben. Das hat in der Literatur nicht selten zu einer Überbewertung ihrer tatsächlichen politischen Rolle geführt. So dürfte Leon von Synada bei der Erhebung seines persönlichen Feindes Johannes Philagathos zum Gegenpapst 997 in Rom kaum mehr als eine legitimatorische Funktion zugekommen sein, obgleich er für sich in Anspruch nimmt, das ganze Geschehen initiiert und (zunächst) erfolgreich zum Ergebnis geführt zu haben. Stattdessen lassen sich durchaus Gründe für ein Zerwürfnis zwischen Otto III. und Johannes Philagathos im Vorfeld von dessen Rebellion benennen, insbesondere der Entzug der Abtei Nonantola durch den Kaiser, der eben nicht eine Reaktion auf das neue Gegenpapsttum darstellt, sondern ein Motiv zum endgültigen Bruch des Philagathos mit seinem kaiserlichen Schüler. Das eigentlich überraschende Faktum ist aber, daß die in ihrer Herrschaftsauffassung sehr anspruchsvolle Gestalt Ottos III. offenbar keine ideologische Konfrontation mit dem nicht minder selbstbewußten Basileios II. provozierte. Auch dies rechtfertigt es, die Bedeutung des Zweikaiserproblems gegenüber den zahlreichen politischen, territorialen und kirchenadministrativen Faktoren des Gegensatzes beider Seiten, welche beispielsweise in der Spätphase der Herrschaft Ottos I. und von 981-983 bei Otto II. unverkennbar hervortreten, zu relativieren. Daß das westliche Kaisertum also überhaupt in einem signifikanten Maße Gegenstand byzantinischer „Außenpolitik“ geworden ist, das verdankt es zweifellos primär der territorialen Bindung an Italien.