Abstract
ZusammenfassungDer Aufsatz analysiert den Konnex zwischen Individualisierter Medizin und der Forderung nach mehr gesundheitlicher Eigenverantwortung, der oft als plausibel angenommen wird, wenn der Individualisierten Medizin das Potential zugesprochen wird, das solidarisch finanzierte Gesundheitssystem in Deutschland zu transformieren. Ausgehend von einer logischen Rekonstruktion des Verantwortungsbegriffs, die dessen Operationalisierbarkeit unter anderem an Sanktionsvollmachten der jeweiligen Verantwortungsinstanz bindet, und basierend auf einem terminologisch präzisierten Verständnis von Individualisierter Medizin wird folgende These entwickelt: Die Annahme, im Rahmen Individualisierter Medizin sei eine verlässliche Prädiktion anlagebedingter und zugleich lebensstilabhängiger Erkrankungsrisiken möglich, verpflichtet logisch nicht zur Übernahme der Forderung, Lebensstile mit negativem Einfluss auf persönliche Erkrankungsrisiken seien zu sanktionieren. Weil die Forderung nach mehr gesundheitlicher Eigenverantwortung aus dem Programm der Individualisierten Medizin logisch nicht ohne Hinzunahme normativer Prinzipien abzuleiten ist, kann man dieses Programm selbst gut heißen, ohne sich die politische Forderung nach einem Umbau des solidarisch finanzierten Gesundheitssystems unter dem Vorzeichen gesundheitlicher Eigenverantwortung zu eigen machen zu müssen.